Die Aussage «Stricken macht glücklich!» glaubt man Gabriela Hartmann sofort, wenn man sie zufrieden mit Wolle und Nadeln arbeitend am Ecktisch im Restaurant Sonne in Ittenthal sieht. Hier findet der wöchentliche Stricktreff, ein «lockeres Zusammenkommen, ohne jede Verpflichtung», statt. Sieben Frauen gehören dazu, der «harte Kern» sind deren drei, die hier am Donnerstagnachmittag ihrer Leidenschaft frönen.
SONJA FASLER
An diesem Donnerstag ist das Wetter so schön, dass Gabriela Hartmann vermutet, dass heute nur der «harte Kern» erscheint. Und tatsächlich, bald taucht Angela Diesner auf. Die ehemalige Lehrerin und Schulleiterin aus Kaisten strickt gerade an einer leichten Jacke in zartrosa-weiss meliertem Garn. Etwas später stösst María Cristina Fernández, ebenfalls aus Kaisten, dazu. Sie benötigt Hilfe bezüglich ihres Pullovers, bei dem jetzt noch die Ärmel fehlen. Die Strickexpertin weiss Rat. «Es gibt kein unlösbares Problem», weiss sie. «Ja, ich hänge an der Nadel»
Gabriela Hartmann hat zehn Jahre lang einen eigenen Strickladen in Basel geführt. Es habe dort kein «Wullelädeli» gegeben, wie sie es sich vorstellte. «So machte ich eben selbst eines auf», sagt die 74-Jährige lachend, die ursprünglich Schriftsetzerin gelernt hat. Bevor sie ihr Geschäft in Basel eröffnete, hatte sie 30 Jahre lang ein eigenes Korrekturbüro geführt, welches sie Anfang der Neunziger Jahre gegründet hatte. «Mit 60 Jahren entschloss ich mich, mein Hobby Stricken zum Beruf zu machen», so Gabriela Hartmann. Das «Wullelädeli» gibt es immer noch und ist mittlerweile bei ihrer Nachfolgerin in guten Händen. Gabriela Hartmann selbst ist vor rund zwei Jahren mit ihrem Mann nach Ittenthal gezogen, weil sie hier ein altes Bauernhaus fanden, wie sie es sich schon lange gewünscht hatten.
Aber so ein Hobby wie Stricken lässt sich nicht einfach beiseitelegen, wenn die Pensionierung kommt. «Ja, ich hänge an der Nadel», gesteht Gabriela Hartmann lachend. Um mehr Leute und insbesondere Strickerinnen kennenzulernen, rief sie schon bald einen Stricktreff ins Leben. Man trifft sich jeden Donnerstagnachmittag ab halb zwei im Restaurant Sonne in Ittenthal, ausser die «Sonne» hat zu oder ist mit einer geschlossenen Gesellschaft besetzt. Dann treffen sich die Frauen privat.
Strickberatung inbegriffen
«Das Treffen kostet nichts, aber ich bin froh um eine Anmeldung», sagt Gabriela Hartmann und fügt an, «kostenlose Strickberatung ist inbegriffen.»
Sie wolle damit aber keineswegs den Strickläden Konkurrenz machen, betont sie. Ganz im Gegenteil. Sie rät ihren Mit-Strickerinnen immer, qualitativ hochwertige Wolle und Garne zu verwenden. «Sonst ist es ja schade um die ganze Arbeit.» Und gutes Material finde man nun einmal am besten im Fachhandel.
Gabriela Hartmann ist bewusst, dass sie mit einem nachmittäglichen Treffen am ehesten Pensionierte anspricht. Sie würde sich allerdings freuen, wenn auch jüngere Frauen kämen. Oder Männer. Aber strickende Männer seien hierzulande doch eher noch selten. Wer sich beteiligt, dem müsse es wirklich ums Stricken gehen. Ein Kinderhütedienst wolle man nämlich nicht sein, betont Gabriela Hartmann, die abends die Striggete beiseitelegt. Sie stricke praktisch nur tagsüber, und das täglich mehrere Stunden. «Abends bin ich zu müde», gesteht sie. Und das Stricken während des Fernsehschauens ist ihr ein Graus. Sie mag raffinierte, komplizierte Anleitungen und Muster. Dabei müsse man sich voll auf die Arbeit konzentrieren, weiss sie.
Aber auch sie habe stets eine «Striggete» in der Handtasche, um immer und überall zu «lismen». Das seien aber einfache Arbeiten für zwischendurch. Diese kann sie dann auch beispielsweise während einer längeren Autofahrt in die Hände nehmen – als Beifahrerin, versteht sich. Sie selbst fährt nämlich nicht Auto, deshalb findet der Stricktreff auch an ihrem Wohnort statt.
Die UFOs in der Schublade
Beim Stricktreff geht es natürlich auch um den gegenseitigen Austausch und darum, Strickprobleme zu lösen. Wer sich schon einmal mit Strickanleitungen beschäftigt hat, weiss, wie anspruchsvoll diese sein können. Gabriela Hartmann kann es nicht kompliziert genug sein. Sie mag auch Anleitungen aus anderen Ländern wie England, Frankreich oder Italien. «Jedes Land hat seine Eigenheiten und Muster», weiss die Expertin, die immer gerne neue Techniken ausprobiert und vor allem die Strickbücher aus England mag.
Ein Muster, das ihr besonders gefällt, ist das zweifarbige Halbpatent, auch «Brioche» genannt. Zuhause hat sie ein Regal voller Strickbücher und eine Kommode mit traumhaften Woll- und Seidengarnen, die auf kunstvolle Verwendung warten. «Ich habe immer mehrere Projekte in Arbeit und mache immer dort weiter, wozu ich gerade Lust habe. So langweilt mich nichts, und alles wird einmal fertig», erklärt sie ihre «Masche».
Sie helfe auch gerne weiter bei einem UFO, sagt Gabriela Hartmann. UFO? Was hat Stricken mit Ausserirdischen zu tun? Nichts. «Für Nichtstrickerinnen: UFO bedeutet ‘unfertiges Objekt’», erklärt sie lachend. Und von denen dürfte bei vielen Frauen das eine oder andere irgendwo in einer Schublade ein trauriges Dasein fristen, weil sie mit der komplizierten Anleitung überfordert waren. «Wäre doch schade, wenn die guten Stücke nicht vollendet würden», findet Gabriela Hartmann. «Viele Frauen können nicht so gut umsetzen, was in der Anleitung steht, und ich helfe gerne dabei.»
Gegentrend zu Temu und Co.
Das Stricken sei einfach ein schönes Hobby. Und gerade in Zeiten von Temu und Co. stelle das Selbstgemachte einen unschätzbaren Wert dar. «Auf solche Werte sollte man sich wieder besinnen», findet Gabriela Hartmann. Und eben: Stricken macht glücklich. Das sei sogar wissenschaftlich erwiesen. «Stricken lässt dich zur inneren Ruhe kommen, es werden Glückshormone ausgeschüttet und man wird insgesamt entspannter», weiss sie aus eigener Erfahrung.
Sie fertigt übrigens nicht nur Kleidungsstücke und Accessoires für sich selbst an, sondern geht seit neustem auch ab und zu «z Märt» mit ihren Sachen. «Es müssen aber Kunsthandwerkermärkte sein, wo die Arbeit geschätzt wird», betont sie. «Verramschen» wolle sie ihre Arbeiten nämlich nicht. Sie finde es immer schade, wenn für ein Paar Socken bloss 20 Franken verlangt würden. Das mag nach viel Geld klingen, aber: «So erntet man keine Wertschätzung.» Verdienen wolle sie zwar nichts. Aber das Material müsse bezahlt sein und die Standmiete. Die Arbeit könne man höchstens mit einem Franken pro Stunde honorieren. «Sonst würde es schlicht zu teuer.»
Wer denkt, jemandem wie ihr sei das Stricken bereits in die Wiege gelegt worden, irrt jedoch. Während der Schule sei ihr der Handarbeitsunterricht so richtig verleidet, erinnert sie sich. Man habe nicht die Freude am Stricken vermittelt. Erst als sie Kinder hatte, habe sie das Lismen wieder entdeckt – und nicht mehr losgelassen.
Mit-Strickerin Angela Diesner hingegen erinnert sich an ein richtiges Schlüsselerlebnis. Ihre leider viel zu früh verstorbene Mutter, die Handarbeitslehrerin war, habe ihr bereits als Sechsjährige das Stricken beigebracht. Das sei ihr geblieben. Nebst ihrem anspruchsvollen Beruf habe sie zu Spitzenzeiten bis zu zehn Pullover im Jahr gestrickt. Bei María Cristina Fernández verhält es sich etwas anders. Ihre Hauptleidenschaft ist das Nähen, das Stricken sei einfach ein zusätzliches Hobby.
Bestrickt ans Oldtimertreffen
Gabriela Hartmanns Ehemann strickt zwar nicht, hat aber Respekt vor der Leidenschaft seiner Frau. «Wenn er mir eine Freude machen will, schenkt er mir einen Gutschein für Wolle vom Strickladen», verrät sie schmunzelnd. Und ab und zu geht’s mit alten Volvos an ein Oldtimertreffen, an dem die beiden in stilgerechter Vintage-Kleidung – selbst gestrickt, versteht sich – erscheinen.
Wer Lust und Zeit hat mitzustricken, darf sich gerne bei Gabriela Hartmann melden (Telefon 079 746 35 25). «Guet Strigg!», kann man da nur sagen.
Erstes Bild: Gabriela Hartmann hat diese farbenfrohe Jacke aus Sockenwolle mit Farbverlauf gestrickt. In einem einfachen Muster, wie sie erklärt: «Ich habe eine Schwäche für einfache Sachen, die kompliziert aussehen.» Foto: Sonja Fasler
Zweites Bild: Stricktreff im überschaubaren Rahmen: Gabriela Hartmann, María Cristina Fernández und Angela Diesner (von links) begutachten und besprechen ihre Werke. Foto: Sonja Fasler